News aus Arbeitsgruppen/ Stellungnahmen
Nachfrage/ Stellungnahme zum Thema Gewaltprävention
Auzug aus der Anfrage
Um das Thema zu beleuchten, würden wir insbesondere gerne einen/ eine
Pädagoge*in, einen/eine Arbeitgeber*in und einen/eine aus dem Betriebsrat
interviewen. Sie können sich gerne an einer oder mehrerer Fragen orientieren:
- Name und berufliche Tätigkeit nennen
- Wie gehst du mit Gewalt gegen Pflegende in deinem
Berufsalltag um? - Wie gehst du mit Meldungen von Gewaltsituationen um?
- Welche Tipps gibst du Pflegenden mit gegen Gewalt im
Berufsalltag? - Muss mehr über das Thema Gewalt gegen Pflegende
gesprochen werden? - Wie kann eine Arbeitnehmervertretung gegen Gewalt gegen
Pflegende helfen?
Stellungnahme zum Thema Gewaltprävention
Mein Name ist Martina Bagatzki-Mathiszik, ich bin Fachschwester für Psychiatrie. Ich habe auch meine Ausbildung bewußt in der Psychiatrischen Klinik gemacht. Seit 1994 arbeite ich in der Klinik als examinierte Krankenschwester. 11,5 Jahre davon war ich auf einer psychiatrischen Intensivstation, die gleichzeitig auch Aufnahmestation ist. Im Laufe der Jahre habe ich dort, in den unterschiedlichsten Bereichen, Erfahrungen mit Gewaltsituationen gesammelt. Mal direkt betroffen, mal als Zeuge des Ereignisses, mal als Unterstützung für die betroffenen Kollegen anderer Stationen.
Gewalt hat viele verschiedene Facetten. Es können verbale Beschimpfung, sexuelle Anspielungen bis zu sexuellen Übergriffen aber auch körperliche Angriffe mit Händen, Gegenständen und selbstgebastelten Werkzeug sein.
Gewalt kann es unter Kollegen geben, dazu zählt schon das Ausgrenzen und das Mobbing.
Es kommt in der Beziehung zwischen Patienten und Pflegekräften durch verschiedene Ereignisse zu Eskalationen. Es kann bedingt durch die psychische Erkrankung sein, dass das Gegenüber verkannt wird. Es kann Sprachbarrieren geben, es kann sein dass es durch unterschiedliche Kulturen zu Übergriffen kommt. Es kann aber auch das Negieren von Koffeinhaltigen Getränken sein oder das Nichtvorhandensein von Rauchwaren sein. Es liegt ein Unverständnis der Patienten vor, die nicht verstehen können, dass sie in ihrer Freiheit beschränkt werden. Ein Arzt, der ihnen sagt, sie dürfen z.B. die Station nicht verlassen und die Pflegekräfte, die die Türen nicht öffnen. Das A und O in der psychiatrischen Arbeit ist die Bezugspflege, Zeit um auf den Einzelnen eingehen zu können. Zeit zu zuhören, Wege und Möglichkeiten aufzeigen können. Diese Zeit hat man aber nicht wenn man zu 3 Kollegen für 18-20 Patienten zuständig ist. Die gemischtgeschlechtliche Zusammensetzung der Pflegeteams spielt eine Rolle. Kommen 4 Männer einem schon unterschwellig aggressiven Mann entgegen, könnte ein Frau die Situation deeskalieren. Eine Rückzugsmöglichkeit sollte gegeben sein, das ist durch Überbelegungen und bauliche Enge oft nicht gegeben. Auch meine eigene Verfassung spielt eine Rolle, es gibt Tage, da prallen Schimpfworte von einem ab, an einem anderen Tag ist man dünnhäutig und nimmt es persönlich. Als Praxisanleiter ist man für Auszubildende zuständig und hat je nachdem ein schon höheres Anspannungslevel. Junge weibliche Auszubildende müssen so manche sexuelle Anspielung ertragen, der Praxisanleiter sollte hier dann Schutz bieten. Selbstverletzendes Verhalten bis hin zum Suizid ist eine indirekte Art der Gewalt gegen Pflegende. Ich denke, dass dieses Spektrum zeigt, dass meist nicht ein Auslöser für Gewalt gegen Pflegekräfte gegeben ist, sondern ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren.
Ich kenne Deeskalationsschulungen, hier lernt man theoretischen Background aber auch in Rollenspielen, wie leicht man von Pflegenden bedrängt werden kann. Keinen anderen Ausweg sieht als sich zu verteidigen. Dies hat auf die Pflegekräfte den Lerneffekt, das sie es in der Hand haben, Situationen anders zu bewältigen. Supervision ist ein gutes Arbeitsmedium, um heikle Situationen nach besprechen zu können. Schuldzuweisungen dagegen sind deplatziert. Krankheitsbilder verstehen lernen, hilft auch sich nicht zur Zielscheibe machen zu lassen. Erfahrung, spielt ein große Rolle. Die Pflegekräfte sollten auch bereit sein sich zu reflektieren. Ich muss nicht auf jeden Fall auf einer bestimmten Station arbeiten, wenn dies mich an den Rand meiner Kapazitäten bringt.
Wenn es dann doch zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommt die eskaliert, gibt es auch mehrere Wege mit der Situation umzugehen. Es gibt aber kein Patentrezept. Der Kollege, der körperlich angegriffen wurde, ist sofort aus der Situation zu holen und zu separieren, er sollte nicht allein bleiben. Er kann über die Situation sprechen, sollte aber nicht durch die Begleitung bedrängt werden. Ist er verletzt, muss er zur Abklärung zum D-Arzt, aber nicht allein. Hier können Angehörige oder Kollegen begleiten, je nach Wunsch. Je nach Klinik werden größere Gewaltereignisse mit allen Beteiligten (meint; Kollegen von anderen Stationen, die zu Hilfe gekommen sind, Ärzte ect.) nachbesprochen. Die Leitung hat hier ein Dreierteam von Psychologen, Ärzten und Pflegekräften. Ist die Situation nicht so dramatisch gewesen, kann man dies auch in einer Supervisionssitzung besprechen. Eskalieren Ereignisse zwischen Patienten und Kollegen immer wieder, sollte man die Zuständigkeiten im Tagesteam anders regeln.
Gewaltereignis gegen Pflegekräfte werden bei uns verschieden erfasst. Es wird in der Dokumentation des Patienten hinterlegt, es wird mittlerweile im elektronischen Verbandbuch erfasst. Es wird eine Meldung an den vorgesetzten Fachbereichsleiter, die Pflegedienstleitung, den Klinikdirektor, den Verwaltungsdirektor und den Geistlichen Vorsteher sowie die Mitarbeitervertretung, mit einer kurzen Beschreibung des Ereignis erfolgen. Diese Meldung geschieht nur bei größeren Ereignissen. Und wie schon beschrieben gibt es unterschiedliche Gremien, in denen man darüber sprechen kann. Das auszusprechen, was einem passiert ist, hilft in vielen Fällen. Die Mitarbeitervertretung kann bei Kenntnis von erhöhtem Gewaltpotential, zu wenig Mitarbeitenden auf den Stationen, immer wieder bei der PDL einfordern, dass die Stationen besser zu besetzen sind. Ebenso deeskalierende Maßnahmen einfordern, soweit diese noch nicht installiert sind. Regelmäßige Fortbildungen in den verschiedensten Bereichen. Unterstützung von Psychologen/ Psychiater außerhalb der Klinik über die Berufsgenossenschaften.
Es ist durchaus sinnvoll über Gewaltthemen zu sprechen, diese publik zu machen. Das es noch viele Gewaltbereiche in Zusammenhang mit Pflege- oder Rettungskräften gibt. Was passiert, wenn ich mitbekomme, wie ein Kollegen einen Patienten anderes behandelt, wie er sollte? Was mache ich wenn Angehörige grob mit dem Patienten umgehen? Was mache ich, wenn sich Patienten untereinander nicht korrekt verhalten? Was mache ich, wenn Rettungskräfte angegangen werden? Das alles ist durchaus ein Themenkomplex, der auch einen gesellschaftlichen Hintergrund hat und den man durchaus offen diskutieren sollte.
25.01.2023